Christian Lippuner

Galerie Obertor Chur

Nahe am Ungemach

Laudator: János Stefan Buchwardt

Christian Lippuner wird zum ersten Mal in Chur ausgestellt. Ein alter Mann in einer jungen Galerie, ein Künstler aus dem Thurgau im Bündnerland. Alt, sehr verehrte Damen und Herren, heisst keineswegs altbacken, jung nicht unerfahren. Gefragt habe ich mich, was der Apfelkanton und der der Steinböcke denn gemeinsam haben. Da wird es schon knifflig. Beide gehören zur Grossregion Ostschweiz. Ohne gross zu recherchieren, auf Anhieb kommt man auf nicht viel. Unterschiede hingegen schon: Was hier die Nusstorte ist, dort sind es die «Öpfelringli». Wir freuen uns sehr, bei Ihnen zu sein, das darf ich im Namen des Künstlers ausdrücklich sagen.

Weg von Unwissenheit und genierlichen Klischees. Mein Vorschlag: Ab sofort lassen wir Christian Lippuner zum Bindeglied werden. (Das wäre ja schon ein schöner Schlusssatz am Anfang meiner Rede. Keine Angst, ich mache weiter.) Die Galeristin Jsabella Portmann gibt ihm zwei Monate Zeit. Sollte zu schaffen sein! Für ihn und zu Ihnen sprechen seine hier ausgestellten Werke. Elf an der Zahl, käuflich zu erwerben. Er lebt davon, dass Sie aus dem Südosten es denen aus dem Nordosten gleichtun werden. In den Bodensee-Regionen ist er etabliert und renommiert, bei Sammlern wie auch bei den Kantonalen Sammlungen St. Gallen und Thurgau.

Gut, Kunst zählt nicht zu den schnell mal so erworbenen Waren. Sie muss sich auszeichnen, muss überzeugen, verführen und im besten Fall überdauern. Der Künstler muss uns nicht gleichgültig sein, aber er darf hinter sein Schaffen zurücktreten. Schauen wir zuerst auf die Titel: Die Einheit brennt, Luzifers List, Digitaler Rausch, Zersetzung von Schönheit, Manipulation der Autonomie, Nahe am Ungemach. – Es wird ungemütlich. Wir erschrecken vielleicht. Verwunderung ist plötzlich im Raum. Die gute Stimmung geht flöten. Wenn Sie heitere Blumentableaus und Rosenbögen am Bodensee erwartet haben sollten, da ist die Tür.

Wozu wir hier versammelt sind, geht weit über die profane Kaffeefahrt hinaus. Langfristig will die Betitelung unseren kritischen Geist wachrufen und befriedigen. Lippuner bedient sich der Schönheit, verweist aber gleichzeitig auf ihre Zersetzung innerhalb organischer Kreisläufe. Er warnt vor drohender Vereinsamung, setzt aber der den Rausch verkörpernden Figur ein bis über beide Ohren strahlendes Smiley-Pendel zur Seite. Er kämpft für den Platz an der Sonne, bevorzugt aber vornehmlich Grauabstufungen für das grosse Flüchtlingsbild mit dem Titel «Nahe am Ungemach». Er scheut weder das Hell noch das Dunkel, weder Licht noch Nacht.

Wenn Sie die Störung Ihrer Routinen zulassen, wenn Sie Irritation als Strategie moderner Kunst gelten lassen, wenn Sie in beunruhigenden Positionen Anstösse zum gesellschaftlichen Diskurs orten, dann sind Sie hier goldrichtig. Die Bilder und Objekte leben zwar von profund gesetzten Provokationen, Lippuner setzt aber gleichzeitig auf die Ästhetik der stillen Rebellion. Er ist kein Anarchist, er ist besonnener Aufklärer. Kein künstlerischer Extremist, er ist überzeugender Abweichler. Die List teuflischer Gebärde, das Gefährdetsein unserer Autonomie, die Auflösung von Einheit und Eintracht – wir haben es mit einer erbötig kämpfenden künstlerischen Kraft zu tun.

Innerhalb von fünfzehn Jahren hat Christian Lippuner zu einer bemerkenswerten Sprache als freischaffender Künstler gefunden. Grossformatige Gesten, fein ausgearbeitete Ziselierungen und Lineaturen. Trotz körperlicher Miseren, die ihn immer wieder ereilen, oder gerade deswegen: Er ist auf der Überholspur. Viele schätzen seine bildnerische Jugendhaftigkeit, seine mühelos scheinende Akribie, seine Besessenheit. Daneben erstaunt das irgendwie immer auch seelenvergnügte und hoffnungsfrohe philosophische Schürfen. Schemen, Schichtungen, Linien. Das ist Verwobenes, um Verfilztes aufzudecken. Verdunkeltes, um inneres Feuer zu beleben und sich zukunftsfreudig an (Bündner) Höhenluft zu laben. – Hat er nun mehr als nur so einen Namen verdient oder nicht? Urteilen Sie! Danke.

János Stefan Buchwardt | www.jstb.ch | 21. April 2018

János Stefan Buchwardt